Schloss der Katzen

Jacob folgte weiter der Fährte des jungen Hasen und überraschte ihn irgendwo in der Nähe seines Baus auf der Futtersuche. Der Wolf schlich sich an, verursachte dann jedoch absichtlich ein Geräusch, welches den Hasen hochfahren ließ, und lieferte sich dann mit ihm eine Verfolungsjagd durch den Wald.

Aus den Tränen wurde ein heftiges Schluchzen. Das konnte doch einfach nicht wahr sein. Sie hatte sich doch wohl nicht wirklich mit ihm gestritten. Oder? Anscheinend schon, denn sonst wäre er jetzt wohl da. Er würde sie in den Arm nehmen und sie trösten. Aber er war nicht da. Er nahm sie nicht in den Arm. Er tröstete sie nicht...

Jacob ließ sich dann irgendwo im Wald auf den Boden fallen, riss den Hasen und verschlang ihn einfach in rießigen Bissen. Er hatte eigentlich keinen Hunger. Er wollte sich bloß abregen und seine Wut irgendwie abbauen. Wut auf sich selbst, auf Nera, auf seinen Stamm, auf die Katzen... im Moment war er einfach wütend auf alles und jeden.

Nera überlegte, ob sie vielleicht noch einmal mit dem Rat reden könnte. Sie selbst war zwar Mitglied im hohen Rat, doch sie hatte es bislang noch nicht geschafft sie zu überreden bei ihr eine Ausnahme zu machen. Es waren zwei gegen sieben Stimmen und so hatte Nera keine Chance da etwas zurecht biegen zu können.

Jacob verscharrte die Knochen und Überreste des Hasen dann einfach im Boden und legte sich hin. Der Wolf ließ seinen Blick durch den Wald schweifen und lauschte dabei den Geräuschen um sich herum. Irgendwo in seiner Nähe ging gerade ein Katzenpärchen spazieren. Ober ihm flitzten Eichhörnchen durchs Geäst und er hörte einen Raben kreischen. Der Wolf seufzte, legte den Kopf auf seine Pfoten und döste.

Nein, mit dem Rat würde sie ganz bestimmt nicht noch einmal reden können. Doch es gab einen, mit dem sie auf jeden Fall reden sollte. Sie musste sich einfach bei ihm entschuldigen, denn mit der Gewissheit in einem Streit auseinander gegangen zu sein konnte sie einfach nicht leben. Wer wusste, was passierte? Wenn einer von ihnen starb wäre das letzte, was sie zu ihm gesagt hatte 'Ach du verstehst das einfach nicht, Hund.' gewesen. Damit konnte sie auf keinen Fall leben, zumal sie wusste, dass "Hund" für Werwölfe eine Beleidigung war. Also erhob die Blonde sich von der Fensterbank, nahm ihre Jacke vom Haken und ging raus um Jake zu suchen.

Jacob wachte nach einer Weile wieder auf. Jedoch blieb er liegen und dachte nach. Sollte er vielleicht zu Nera gehen und versuchen mit ihr zu reden? Nein. Wenn jemand kommen sollte, dann sie. Denn sie war es schließlich gewesen, die ihn Hund genannt hatte. Hund... und gerade sie, sie, die wusste dass das Wort 'Hund' für einen Werwolf eine der größten Beleidigungen darstellte.
Also blieb Jacob einfach liegen und wartete ab.

Nera irrte eine Zeit lang durch die Gegend, ehe sie den Geruch von Jake aufnahm. Er hob sich eindeutig von dem Geruch der Katzen ab. Er roch mehr nach Wald als die Katzen, welche er den Geruch von Wasser hatten.

Ironie... Daher kommt diese verdammte Phrase mit den Fischfressern.

Dachte die Blonde grummelnd. Für Katzen war es eine der größten Beleidigungen als "Fischfresser" bezeichnet zu werden. Sie aßen gerne Fisch, das stimmte schon. Aber nur weil sie nach Wasser rochen hieß das doch nicht gleich, dass sie sich nur von Fisch ernährten. Doch im Moment hatte Nera eigentlich andere Probleme. Sie folgte immernoch der Spur der Wolfes, die sie immer tiefer in den Wald führte. Er hatte wohl gejagt. Oder er war auf dem Weg nach La Push.

Jacob holte tief Luft und seufzte dann laut. Um sich ein wenig abzulenken begann er den Geräuschen des Waldes zu lauschen. Dem Pfeifen des Windes, dem Knacken der Äste und den Geräuschen von verschiedenen Tieren. Der Wolf rollte sich auf dem Boden zusammen und vergrub seine Schnauze im nassen Laub. Dann bildete er sich ein, irgendwo das Geräusch von Pfoten auf Laub zu hören. Jedoch ignorierte er es einfach.

Als Jakes Geruch am stärksten war blieb Nera stehen und sah sich um. Dann sah sie ihn da im Laub liegen. Sie lehnte sich an einen Baum und sah ihn einfach nur stumm an. Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen und liefen irgendwann über. Allerdings vermischten sie sich schnell mit den Regentropfen, die jetzt vom Himmel fielen. Zu dem kam auch noch Wind auf, der ihr nun ihre langen Locken ins Gesicht wehten, welche sie allerdings ignorierte.

Nun wehte ihm Neras Geruch in die Nase und Jacob hob wie ruckartig den Kopf. Dabei entfuhr seiner Kehle ein leises Knurren. Wahrscheinlich war sie nur hier um spazieren zu gehen und sich 'abzulenken'. Warum sollte sie auch nach ihm suchen... Mit einem Seufzer ließ der Wolf den Kopf wieder auf seine Pfoten fallen und Jacob versuchte Neras Geruch, und Nera generell, einfach zu ignorieren.

Nera zuckte bei Jakes Knurren zusammen. Auf einmal wurde sie unsicher, doch sie wusste nicht wo diese Unsicherheit herkam. Sie hatte sich schon früher mit ihren Freunden gestritten, aber noch nie hatte sie ein Streit so mitgenommen. Sie wusste nicht, was sie ihm sagen sollte, also kamen die nächsten Worte nur geflüstert. Sie wusste, dass Jake sie hören würde.

Es tut mir leid...

Jacob seufzte erneut, dieses Mal jedoch um einiges lauter. Er wusste nicht, was er zu Neras Entschuldigung sagen sollte. Meinte sie es überhaupt ernst? Der Wolf rappelte sich leicht auf und mit dem eisigen Windstoß, der ihm ins Gesicht bließ, konnte er nun auch den salzigen Geruch von Neras Tränen riechen. Tat es ihr tatsächlich leid?

Nera seufzte leise. Dann würde das wohl jetzt ein Monolog werden.

Ich könnte es verstehen, wenn du jetzt erstmal Abstand möchtest. Aber ich möchte auch, dass du weißt, dass ich das nicht so gemeint habe. Ich war einfach so... durcheinander. Ich weiß doch selbst nicht, was ich von dem Ganzen halten soll. Und ich könnte es wirklich verstehen, wenn du jetzt noch wütend bist. Besonders weil ich dich auf diese Art und Weise beleidigt habe. Ich bin dir in den Rücken gefallen und das hätte ich nicht tun sollen.

Jacob blieb eine Weile einfach nur stumm dort sitzen, wo er die ganze Zeit über schon gesessen hatte. Das einzige was er tat, war Neras Worten zu lauschen und dann über sie nachzudenken. Der Wolf war hin und her gerissen zwischen Neras Entschuldigung und den Worten, die ihn so beleidigt hatten. Und zwischen der Nähe, die er von ihr wollte, und dem Abstand, welcher ihm im Moment viel leichter erschien.

Lass ihn das erstmal verkraften.

Dachte Nera sich und fuhr mit dem Handrücken über ihr Gesicht um die Tränen wegzuwischen. Doch ob das Tränen oder Regentropfen waren wusste sie nicht. Auf jeden Fall füllten ihre Augen sich immerfort mit neuen Salzperlen, die sich dann mit dem Wasser des Regens vermischten. Ihre Haare waren inzwischen vollkommen durchnässt, doch sie schien es kaum zu spüren. Das einzige was sie spürte war der Schmerz ihres Herzen, das anscheinend immer weiter zersplitterte. Sie kannte das Gefühl, den Liebeskummer, nicht und sie hatte sich nie vorstellen können, dass es sich so anfühlte. Tausend kleine Nadelstiche ins Herz, das danach in seine Einzelteile zerbrach und eine so unendliche Leere hinterließ, wie man sie sich nicht vorstellen konnte. Das alles ging in ihr grade vor.

Jacob rappelte sich dann langsam auf und schüttelte sich, um sein Fell so gut es ging von Erde, Laub und anderem zu befreien. Dann stand er eine Weile einfach nur da und überlegte, was er nun tun sollte. Nach einigen Minuten ging der Wolf dann los, genau in Richtung Nera. Aber anstatt vor ihr stehenzubleiben ging er einfach an ihr vorbei. Warum er das gerade tat wusste er selbst nicht.

Nera beobachtete Jake und als er an ihr vorbei ging musste sie es sich verkneifen die Hand nach ihm auszustrecken und über sein Fell zu fahren. Stattdessen blieb sie einfach stehen, sah vor sich auf den Boden und lauschte wie seine Schritte immer leiser wurden. Sie wusste nicht, ob sie ihm folgen oder einfach stehen bleiben sollte, also beließ sie es bei stehen bleiben. Irgendwann würde schon etwas passieren, was sie zur Bewegung trieb.

Jacob lief einfach weiter. Wohin wusste er nicht. Er wollte einfach nur alles hinter sich lassen, na La Push wollte der Wolf trotzdem, noch, nicht zurück. Also beließ er es dabei die Grenze abzulaufen und jedem Wesen, dem er begegnete, aus dem Weg zu gehen. Er wollte seine seltsame Laune nicht an irgendjemand anderen auslassen.

Noch immer lehnte Nera an dem Baum, doch ihre Beine gaben irgendwann nach und sie sank kraftlos daran herab. Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und fing an zu weinen. Sie hatte ihn verloren. Sie wusste nicht, was sie noch machen konnte. Jake stand nicht auf Kitsch, also würde ein Herz aus Rosen wohl auch nichts bringen, zumal sie nicht wusste woher sie jetzt Rosen bekommen sollte. Und Kerzen waren auch eine schlechte Idee, da diese bei dem strömenden Regen sofort wieder ausgehen würden. Aber was sollte sie denn sonst tun? Was konnte die Beziehung denn sonst noch retten? War es wirklich für immer verloren? War es nun gänzlich kaputt? Half nichts mehr?

Jacob blieb irgendwann abrupt stehen und sah sich kurz um. Dann seufzte der Wolf, warf seinen Kopf in den Nacken und gab ein lautes Heulen von sich. Ihm war es im Moment egal, ob er damit die Hälfte der Katzen verärgern oder wecken würde. Ihm war im Moment nämlich alles egal. Oder doch nicht? Wieder schweiften seine Gedanken zu Nera und Jacob dachte darüber nach, was sie wohl gerade tat...

Nera zuckte bei dem Heulen Jacobs erneut zusammen. Es war als würde das Geräusch in ihrem Körper wiederhallen. So als wäre sie eine leere Hülle in die jemand hineinrief. So fühlte sie sich. Leer. Ausgebrannt. So als wäre kein Leben mehr in ihr. Aber was brachte das Leben auch, wenn sie sich mit demjenigen nicht mehr verstand, der diesem einen Sinn gab?

Jacob ließ sich ins nasse Gras fallen und begann leise zu jaulen. Der Wolf war verwirrt. Er wusste einfach nicht mehr, was er tun sollte. Einerseits würde er jetzt am liebsten zurück zu Nera laufen, ihr sagen dass der Streit vergessen sei und sie trösten. Andererseits... was hielt ihm eigentlich davon ab, es zu tun? Er musste sich eingestehen, dass er dies selbst nicht wusste.

Irgendwann müssen diese Tränen doch mal aufgebraucht sein...

Schoss es Nera durch den Kopf. Noch immer saß sie da, an dem Baum lehnend, weinend. Außer einem kleinen Vogel, der sie von einem Ast aus beobachtete, war sie allein. Doch auch dieser Vogel, der nun versuchte die Stille, dir nur von gelegentlichen Schluchzen der Blonden unterbrochen wurde, mit seinem Gesang zu füllen, konnte diese nicht ganz vertreiben.

Jacob seufzte dann erneut und rappelte sich nach einer Weile wieder auf. Der Wolf hatte sich dazu entschlossen, doch zu Nera zu gehen. Obwohl sein Beschluss bereits schwankte, als er sich erhob, setzte sich Jacob dennoch in Bewegung. Nach einigen Metern fing der Wolf an zu laufen und erst als er sich in Neras Nähe wusste, wurde er wieder langsamer.